Wer bin ich, wenn ich online bin… by Carr Nicholas
Autor:Carr, Nicholas
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-12-13T16:00:00+00:00
Das Internet verbindet die Technologie des Hypertexts mit der Multimedia-Technologie, woraus die sogenannte Hypermedialität entsteht. Nicht nur Worte werden aufbereitet und elektronisch verlinkt, sondern auch Fotos, Klänge und bewegte Bilder. Ebenso wie die Pioniere des Hypertexts einst glaubten, dass Links dem Leser ein besseres Lernergebnis ermöglichen würden, nahmen viele Pädagogen an, dass Multimedialität oder »rich media«, wie sie bisweilen genannt wird, zu einem besseren Verständnis und damit auch zu einem intensiveren Lernverhalten führen müsste – je mehr Input, desto besser.
Diese Annahme, an der ohne jeglichen Beweis lange Zeit festgehalten wurde, ist von der Forschung inzwischen ebenfalls widerlegt. Die geteilte Aufmerksamkeit bei der Multimedia-Nutzung beansprucht unsere kognitiven Fähigkeiten nur noch mehr und vermindert dadurch Auffassungsvermögen und Lernergebnis. Wenn es darum geht, das Gehirn mit neuem Denkfutter zu versorgen, kann weniger bisweilen mehr sein.
In einer 2007 in der Zeitschrift Media Psychology veröffentlichten Studie luden Forscher über 100 Freiwillige ein, sich einen Bericht über das Land Mali anzusehen, der in einem Webbrowser-Fenster auf einem Computer lief. Einige Versuchsteilnehmer sahen eine Version, die nur aus einer Reihe Textseiten bestand. Einer anderen Gruppe wurde eine Version vorgeführt, die neben den Textseiten noch ein Fenster besaß, in welchem thematisch passendes audiovisuelles Material zugespielt wurde. Die Teilnehmer konnten diese Zuspielung nach Belieben starten und stoppen. Nach der Vorführung unterzogen sich die Versuchsteilnehmer einem Test aus zehn Fragen zum Inhalt des Berichts. Die Nur-Text-Gruppe beantwortete durchschnittlich 7,04 der Fragen korrekt, wohingegen die Multimedia-Gruppe nur 5,98 richtig beantwortete – nach Meinung der Wissenschaftler ein signifikanter Unterschied. Die Teilnehmer wurden außerdem noch dazu befragt, was sie von der Präsentation hielten. Die Nur-TextProbanden fanden ihre Version interessanter, lehrreicher, verständlicher und unterhaltsamer als die Gruppe mit der Multimedia-Version. Darüber hinaus stimmten die Multimediaprobanden der Aussage »Ich habe aus diesem Beitrag überhaupt nichts gelernt« viel eher zu als die Textprobanden. Daraus schlossen die Forscher, dass die im Internet weitverbreiteten Multimedia-Technologien »die Informationsaufnahme eher zu vermindern scheinen, anstatt sie zu verbessern. «25
In einem anderen Experiment teilten zwei Forscher der Cornell University eine Studentenklasse in zwei Gruppen auf. Eine Gruppe durfte während der Vorlesung im Internet surfen. Die Aufzeichnung ihrer Aktivitäten zeigte, dass sie sich zwar Webseiten ansahen, die mit dem Thema des Vortrags in Zusammenhang standen, daneben aber auch thematisch nicht verwandte Seiten besuchten, ihre E-Mail checkten, einkauften, Videos ansahen und auch sonst alles taten, was Menschen online eben so tun. Die zweite Gruppe saß in derselben Vorlesung, musste ihre Laptops aber geschlossen halten. Direkt im Anschluss unterzog man beide Gruppen einem Test, um festzustellen, wie gut sie sich an den Inhalt der Vorlesung erinnern konnten. Nach Angaben der Forscher schnitten die Surfer »hinsichtlich ihrer Erinnerung an die Lerninhalte bedeutend schlechter ab«. Es spielte dabei offenbar keine Rolle, ob sie nun Seiten zum Thema der Vorlesung oder Material angesurft hatten, das damit in keinerlei Zusammenhang stand – alle schnitten schlecht ab. Als die Forscher den Versuch mit einer anderen Klasse wiederholten, war das Ergebnis dasselbe.26
Wissenschaftler der Kansas State University führten eine ähnlich realistische Studie durch. Sie ließen zwei Gruppen von Collegestudenten einen typischen CNN-Beitrag ansehen, in dem ein bekannter Nachrichtensprecher vier Meldungen vortrug.
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